Gisbert Strotdrees: Jüdisches Landleben

Neulich hörte ich von einer jungen Frau, die auf dem Lande einen jüdischen Abend veranstalten wollte und dazu eingeladen hatte. Jüdische Musik, koscheres Essen und die entsprechende Literatur sollten den Abend begleiten. Die Frau selbst ist keine Jüdin, hat sich aber mit der Kultur auseinandergesetzt und wollte das weitergeben. Doch wie schade, es gab kaum Zusagen und die Veranstaltung fiel deshalb aus.

Was ist das, dass Menschen sich so sehr vor anderen Kulturen scheuen. Selbst vor einer, mit der wir letztlich doch auch aus der Geschichte heraus so eng verbunden sind.

Als ich davon hörte, las ich gerade in dem Buch von Gisbert Strotdrees, bei dem es eben auch ganz viel um die Menschen ging, mit denen man im selben Dorf wohnte. Und ich musste wieder an das denken, was Hans Frankenthal gesagt hatte: „… keiner fragte, wo unsere Eltern und die anderen Juden seien.“ Warum nur tun sich so viele Menschen noch heute schwer damit, zu verstehen, was passiert ist. Allein mit der Konfrontation könnte man vielleicht besser nachvollziehen, warum das passieren konnte – und es besser machen.

Sie würden auch gut daran tun, dieses Buch über das jüdische Landleben zu lesen. Es wird von vielen unterschiedlichen jüdischen Schicksalen berichtet, von ihrer Kultur und ihrer Sprache. An dieser Stelle bin ich dann wieder hängengeblieben. Jiddische Wörter, die in unserer Alltagssprache Einzug gehalten haben. Wörter, die ich schon als Kind ganz selbstverständlich benutzte und von deren Herkunft ich nichts wusste.

Wenig, viel zu wenig ist von der jüdischen Kultur geblieben: Hier mal eine Hausinschrift, dort eine renovierte Synagoge – und eben auch die vielen Wörter. Klar, der Bevölkerungsanteil war meist sehr gering, lag meist nur bei 1 oder zwei Prozent.

Beim Lesen dieses Buch habe ich überlegt, wo im Sauerland diese Geschichte aufgearbeitet wurde. Und damit meine ich nicht die paar Stolpersteine, sondern mehr.

Vor vielen Jahren einmal hatte ich die Gelegenheit mit Hans Frankenthal, über den auch in diesem Buch geschrieben wird zu telefonieren. Er erzählte mich, dass er sich erschrocken habe, dass sich in seiner alten Heimat nichts verändert hatte. Dass selbst die Nazi nach Kriegsende auf guten Posten in den Verwaltungen säßen…

Es würde vielen Städten und Gemeinden gut tun, sich stärker mit diesem Thema, mit ihrer Vergangenheit auseinander zu setzen. Dazu würde auch das vorliegende Buch guttun.

Grotdrees hat mit seinem Werk eine Leistung gebracht, mit dem Zusammentragen der Erinnerungen und den vielen Erläuterungen und Sammlungen. Ein ganz wichtiges und wertvolles Buch für uns Westfalen und alle, die über den Tellerrand hinaus denken können und wollen.

ISBN 978-3-7843-5781-2

Erschienen im Landwirtschaftsverlag

Inhalt:

In „Jüdisches Landleben“ (LV.Buch, ET: 13.03.2024) erinnert Gisbert Strotdrees, Historiker und Redakteur beim Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben (Münster), an das untergegangene, in der NS-Zeit mit brutaler Gewalt vernichtete jüdische Landleben zwischen Rhein und Weser.

Vielerorts im ländlichen Westfalen, in den kleinsten Dörfern und Bauerschaften, lebten oftmals seit Jahrhunderten jüdische Familien. Sie handelten mit Vieh und Fleisch, mit Getreide, Textilien und Gemischtwaren aller Art. Arme Habenichtse waren ebenso unter ihnen wie wohlhabende Bürgerfamilien. Zu ihnen zählten Ärzte und Tierärzte, Schuster, Schneider und andere ländliche Kleinhandwerker – und sogar auch Landwirte.

Das Buch entstand aus einer Artikelserie, die im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben erschienen ist und große Beachtung gefunden hat. Die Beiträge sind für die Buchveröffentlichung stark erweitert und um weitere Themen ergänzt worden.

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